Für den Fall, dass ich die Fluglotsen-Ausbildung nicht erfolgreich abschließen würde, immatrikulierte ich mich vorsichtshalber für das Wintersemester 70/71 an der PH in Köln. Schaden konnte es ja nicht.
Die Frage war nur, wie ich die Vorlesungen an der PH und die Flusi-Ausbildung unter einen Hut bringen sollte. Aber Horst meinte, im 1. Semester liefe sowieso nicht viel, das könnte man ruhig schlabbern. Wenn es zeitlich hinkam, nahm ich an Vorlesungen teil, allerdings war das nur sehr sporadisch möglich.
Die Tätigkeit im Tower sah nun völlig anders aus. Meine Ausbilder waren jetzt die Fluglotsen, und die wechselten häufig, was schon mal ein Nachteil war. Hinzu kam, dass sie ihren Job zwar hervorragend machten, aber als Ausbilder waren wohl nicht alle geeignet. Sie sahen uns mehr oder weniger als eine Last oder ein notwendiges Übel an. Dementsprechend war auch die Art, wie wir behandelt wurden.
Einige Jahre später habe ich einen meiner ehemaligen Lehrgangskameraden, der inzwischen in Düsseldorf als Fluglotse arbeitete, mal nach seinen Erfahrungen gefragt, und er sagte mir, es wäre ihm genauso ergangen.
„Sie haben versucht, uns niederzumachen. Sie waren einfach nur destruktiv. Es gab unter ihnen sogar einige, die stolz auf ihre Abschussrate waren.”
Das war schon alles ziemlich frustrierend, und so nach und nach kamen mir Zweifel, ob ich die Ausbildung schaffen würde.
An der PH musste ich mich ja zunächst nicht unbedingt sehen lassen, aber an dem vorgeschriebenen Einführungspraktikum ging kein Weg vorbei. Zum Glück fand ich in der Nähe des Flughafens zwei Schulen, und sogar die terminliche Abstimmung klappte.
Im Januar hospitierte ich zunächst an einer Grundschule, dann an einer Hauptschule. Auf dem Stundenplan der Hauptschule stand Chemie. Die Schüler hatten Zitrusfrüchte mitgebracht, mit denen irgendwelche Versuche angestellte werden sollten. Dazu kam es aber nicht, weil die Früchte als Wurfgeschosse eine andere Verwendung fanden. Insgesamt war die Stunde das reinste Chaos. Danach sollte ich eigentlich in Mathe hospitieren, aber die Lehrerin zog sich aus der Affäre, indem sie mir das Mathebuch in die Hand drückte, das Thema nannte und meinte, ich solle es mal selber versuchen. Na ja, es klappte so leidlich.
Was Controller wohl am meisten fürchten, sind die sog. Conflictions, also Situationen, in denen es brenzlig wird, und wenn der Controller nicht in der Lage ist die Confliction zu lösen, kann das unter Umständen zu einer Katastrophe führen.
Auf dem Kölner Flugplatz gibt es 3 Landebahnen. Eine längere (14L/32R) und eine kürzere (14R/32L), die parallel verlaufen und quer dazu die (07/25). Welche Bahn benutzt wird, ist abhängig von der Windrichtung und der Größe der Maschinen.
Die lange Runway 14L/32R, parallel dazu die kurze Runway 14R/32L und die kreuzende Runway 07/25
17. Februar: Im Endanflug auf Landebahn 07 befand sich eine Maschine, der ich die Landefreigabe erteilt hatte. Die Maschine sollte nach der Landung so schnell wie möglich zum Vorfeld geleitet werden, da sich an Bord ein Tiefkühlcontainer mit einer Niere befand, die wegen einer Transplantation dringend benötigt wurde. Auf dem Vorfeld wartete bereits ein Wagen, der den Container in Empfang nehmen sollte.
Möglicherweise hatte ich mich – zusätzlich zu der normalen Hektik – durch diese Situation ablenken lassen, denn ich erteilte einer anderen Maschine, die auf der 14R stand die Starterlaubnis, und damit war es eine Confliction.
Meine Ausbilderin – übrigens die erste weibliche Fluglotsin in Deutschland – nahm mir sofort das Mikrofon aus der Hand und widerrief die Starterlaubnis:
„Disregard take-off clearance, hold position, we have inbound traffic on runway 07, wait for further instructions.”
Damit war die Confliction zwar gelöst, aber für mich bedeutete es den Anfang vom Ende.
In der Nacht hatte ich einen Albtraum. Zwei Maschinen waren in der Luft zusammengestoßen und in einem riesigen Feuerball explodiert. Als ich schweißgebadet aufwachte, hatte ich das Bild noch vor Augen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte, aber einschlafen konnte ich nicht mehr. Der Gedanke, im Dienst einen Fehler mit solch verheerenden Folgen zu machen, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Da konnte ich mir einreden, was ich wollte, es half alles nichts. Es gab nur eine Konsequenz – ich musste meine Ausbildung abbrechen.
Am nächsten Morgen wollte ich mit dem Dienststellenleiter sprechen, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen. Ich konnte ihn aber nicht erreichen, denn er befand sich auf Dienstreise. So gesehen hatte ich noch einige Tage Bedenkzeit, aber da sich an meinem Entschluss nichts geändert hatte, gab ich am 23. Februar mein Kündigungsschreiben ab.
Damit war mein Dienst aber noch nicht beendet. Wann der letzte Arbeitstag sein würde stand noch nicht fest, denn der Dienstweg braucht ja bekanntlich seine Zeit. Von meiner Kündigung erzählte ich den Kollegen nichts und arbeitete relativ normal weiter. Relativ deshalb, weil ich fast jede Nacht wieder denselben Albtraum hatte, unausgeschlafen zum Dienst kam und mich immer schlechter konzentrieren konnte.
Als ich am 3. April morgens in den Tower kam, teilte mir der Dienststellenleiter mit, dass dies mein letzter Arbeitstag sei. Ich ging nach oben und meldete mich wie gewohnt bei meinem Ausbilder. Im Laufe des Vormittags wurde es mir dann aber doch zu bunt. Ich drückte dem Controller das Mikrophon in die Hand und sagte: „Dann mach es doch selber. Ich habe gekündigt.“ Damit war dann endgültig Schluss.
Fehler macht wohl jeder während der Ausbildung. Die Frage ist nur, wie geht man damit um. Man kann sie abhaken und vergessen, dann belasten sie nicht weiter. Aber genau das konnte ich nicht. Ich grübelte darüber nach, und so wurden sie wohl zu einer Last, der ich psychisch nicht gewachsen war. Mit einem „dickeren Fell“ hätte ich die Ausbildung vielleicht abschließen können, denn mir wurde ja nicht wegen Unfähigkeit gekündigt, und man hat mir auch nicht nahe gelegt, aufzuhören.
Etwas verblüfft reagierten die Kollegen dann doch. Detlef meinte, ich hätte zu früh aufgegeben. Aus seiner Sicht war das vielleicht auch richtig, denn bei ihm war die Ausbildung etwas anders verlaufen. Ein Controller hatte sich dazu bereit erklärt, ihn als alleiniger Coach zu betreuen. Damit hatte er im Gegensatz zu mir einen festen Ansprechpartner, der sich um ihn kümmerte. Außerdem nahm ihn sein Coach erst mal aus der Tower-Ausbildung heraus und arbeitete mit ihm im Approach (Anflugkontrolle) weiter.
Der Approach war ein abgedunkelter Raum mit mehreren Radargeräten und befand sich im unteren Teil des Towers. Wie Detlef mir erzählte, herrschten dort wesentlich angenehmere Arbeitsbedingungen als auf dem Tower. Jedenfalls konnte er die Ausbildung erfolgreich beenden und hat bis zu seiner Pensionierung viel Freude an seinem Beruf gehabt.