Am 15. April begann das Sommersemester. Offiziell war das jetzt mein 2. Studiensemester. Vom 1. Semester hatte ich ja nicht viel mitbekommen. Im Studienbuch waren zwar alle vorgeschriebenen Vorlesungen und Übungen eingetragen, aber das hatte Horst in den meisten Fällen für mich erledigt. Er legte seine Scheine zum Abzeichnen vor, stellte sich dann an der Schlange hinten wieder an und ließ meine abzeichnen. (Bei dem Andrang fiel das nicht weiter auf.) Nun musste ich also ernsthaft studieren.
Als Erstes beschloss ich, nach Köln umzuziehen, denn die Fahrerei war auf Dauer zu teuer. Ich fand eine „Wohnung“ in der Nähe der PH. Sie glich zwar eher einem Kellerloch, hatte aber den Vorteil, dass ich die PH zu Fuß erreichen konnte.
Aber so einfach war das mit dem Studium nicht. Die nächste Katastrophe bahnte sich an, denn ich verstand so gut wie nichts. Die Terminologie und Ausdrucksweise der Professoren und Dozenten war mir völlig fremd. Mein Fluglotsen-Trauma hatte ich immer noch nicht überwunden, und jetzt auch noch der Gedanke, dass ich das Studium vielleicht nicht schaffen würde, so langsam begann ich an mir zu zweifeln. Horst versuchte zwar mich zu beruhigen, indem er meinte, das wären alles nur Anfangsschwierigkeiten, aber ich konnte das nicht so recht glauben und sah mich erneut nach einer Alternative im Bereich der Luftfahrt um und fand auch eine.
An kleineren Flugplätzen, die außerhalb des kontrollierten Luftraums liegen, also nicht von Fluglotsen überwacht werden, sind so genannte „Beauftragte für Luftaufsicht“ (BfL) als Vertreter der Landesluftfahrtbehörde tätig. Im Gegensatz zum Fluglotsen hat der BfL bei der Abwicklung des Flugbetriebs nur eine beratende Funktion, d.h. er kann zwar Empfehlungen und Warnungen aussprechen, darf aber keine Fluganweisungen erteilen. Die Piloten fliegen nach Sichtflugregeln und tragen somit für die Einhaltung der Flugregeln (Sicherheit im Flugplatzverkehr, Einordnung in den Verkehrsfluss) selber die Verantwortung.
Der BfL informiert die Flugzeugführer über die Start- Landerichtung, das Verkehrsaufkommen und das Platzwetter. Des Weiteren ist er zuständig für das Erheben von Landegebühren und die Dokumentation des Flugbetriebs. Bei Unfällen muss er Rettungsaktionen einleiten und koordinieren.
Ende Mai erkundigte ich mich nach den Einstellungsvoraussetzungen bei der Bezirksregierung Düsseldorf. In der Antwort, die ich erhielt, hieß es u.a.:
Auf Ihre Anfrage vom 26.5.1971 teile ich Ihnen mit, dass für die Tätigkeit des Beauftragten für die Luftaufsicht der Nachweis der Privat-Pilotenlizenz erforderlich ist. Da Sie die Lizenz noch nicht besitzen, wird Ihnen in der sechsmonatigen Probezeit die Gelegenheit gegeben, den Privat-Pilotenschein zu erwerben. Als Einstellungsort kommt der Verkehrslandeplatz Mönchengladbach in Frage. Sofern Sie bereit sind, als Beauftragter für die Luftaufsicht eingestellt zu werden, bitte ich Sie zu einer persönlichen Vorstellung am Donnerstag, dem 24.6. 1971 um 11 Uhr in meinem Hause.
Zunächst sah das gar nicht gut aus, denn mit dem Erwerb einer Privat-Pilotenlizenz hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Trotzdem nahm ich den Termin wahr und fuhr am 24. Juni nach Düsseldorf. Nachdem ich dem zuständigen Sachbearbeiter Auskunft über meinen bisherigen beruflichen Werdegang gegeben hatte, war er der Meinung, ich sei für die Tätigkeit des BfL in Mönchengladbach bestens geeignet. An der PPL-Lizenz ginge jedoch kein Weg vorbei. Er würde mir die Stelle so lange reservieren, bis ich den Nachweis erbracht hätte.
Ich sagte ihm zu, dass ich mit der Ausbildung so bald wie möglich beginnen würde. Ganz wohl war mir bei der Sache nicht, denn der Lehrgang würde nicht gerade billig sein. Andererseits reizte mich aber die Möglichkeit, nun selber fliegen zu können.
Nach erfolgter fliegerärztlichen Untersuchung meldete ich mich am 10. Juli bei der Flugschule in Hangelar an, übrigens derselben Schule an der Rita Maiburg zwei Jahre zuvor ihren Privatpilotenschein erworben hatte.
Positiv überrascht war ich, als mir mein Fluglehrer vorgestellt wurde. Er hieß Wolfgang Kühr und wir kannten uns vom Tower. Vielleicht wäre meine Ausbildung anders verlaufen, wenn ich ihn damals als Ausbilder gehabt hätte, denn er war mir von Anfang an sympathisch. Schon zwei Tage später begann bereits die Praxis.
Die Schulungsmaschinen waren vom Typ Cessna 150.
Instrumente und Steuerorgane waren doppelt vorhanden, einmal für den Fluglehrer und einmal für den Flugschüler.
Zunächst erfolgte eine Bodeneinweisung und die tägliche Vorflugkontrolle. Außerdem erhielt ich einen Auszug aus dem Flughandbuch und der Betriebsanweisung für die Cessna 150, um mich zu Hause damit zu beschäftigen.
Am nächsten Tag starteten wir zu meinem ersten Flug. Auf dem Programm standen Horizontal- und Kurvenflugübungen. Wolfgang wollte mir aber erstmal das Trudeln – einen der wichtigsten Gefahrenzustände – demonstrieren.
Ein Flugzeug gerät ins Trudeln, wenn bei einem großen Anstellwinkel die Strömung nur einseitig an einer Tragfläche abreißt. Dabei kippt dann diese Fläche nach unten, und das Flugzeug beginnt sich korkenzieherähnlich nach unten zu drehen.
Je nach Neigung der Flugzeuglängsachse wird zwischen Flachtrudeln und Steiltrudeln unterschieden. Beim Flachtrudeln beträgt die Neigung der Flugzeuglängsachse weniger als 45° vom Horizont – dieses Flachtrudeln kann meist nicht mehr vom Piloten beendet werden, das Flugzeug stürzt ab. Beim Steiltrudeln beträgt der Winkel mehr als 45° – das Flugzeug wird noch von Luft umströmt und kann mit dem Seitenruder wieder abgefangen werden.
Nachdem wir genügend Höhe erreicht hatten, überzog Wolfgang die Maschine, bis die Strömung abriss. Wir wurden immer langsamer, die Maschine begann zu rütteln, dann kippte die Nase nach vorne, und wir begannen zu trudeln. In engen Kreisen ging es spiralförmig nach unten. Ich schaute nur gebannt auf einen Fleck auf dem Erdboden, dem wir uns scheinbar unaufhaltsam näherten. Aber Wolfgang fing die Maschine frühzeitig ab, und damit war die Demonstration beendet. Ich war jedenfalls beeindruckt. In den nächsten Tagen ging es weiter mit Kurvenflug-, Steilkurven- und Langsamflugübungen. Starts, Landungen, und das Fliegen in der Platzrunde war natürlich besonders wichtig.
Der Flugplatz Bonn-Hangelar (EDKB)
Die Platzrunde ist ein standardisiertes An- und Abflugverfahren für alle Flüge nach Sichtflugregeln (VFR). Sie dient z.B. der Einleitung eines sicheren Landeanfluges, aber auch dem Schutz lärmempfindlicher Gebiete rund um den Flugplatz. Soweit nicht anders festgelegt, werden Platzrunden links herum in einem Abstand von ca. 1 NM (nautische Meile) von der Landebahn entfernt geflogen, damit der links sitzende Pilot die Landebahn während des gesamten Manövers im Auge behalten kann.
Die Platzrunde besteht aus fünf Abschnitten: Upwind, Crosswind, Downwind, Base und Final
Eine „Flugstunde“ dauerte im Schnitt 30 Minuten. Während dieser Zeit startete ich, flog die Platzrunde, landete und startete erneut. Nach 5 oder 6 Landungen war die Übung beendet.
Wolfgang war mit meinen Fortschritten wohl zufrieden, denn nach der letzten Landung am 23. Juli sagte er, ich sei nun so weit, dass ich allein fliegen könne. Als Nächstes sei der Soloflug an der Reihe. Ich war völlig überrascht, ließ mir aber nichts anmerken, und wir verabredeten den Termin für die nächste Woche. Im Laufe der Woche rief ich bei der Schule an und kündigte meinen Ausbildungsvertrag.
Der Grund für diesen Schritt war meine immer noch miserable psychische Verfassung. Die Verunsicherung hinsichtlich meiner beruflichen Zukunft machte mir so sehr zu schaffen, dass ich nachts nicht schlafen konnte, tagsüber müde war und meine Konzentrationsfähigkeit rapide nachließ. In dem Moment, als Wolfgang mir sagte, ich solle allein fliegen, war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich den Flug nicht heil überstehen würde.
Später las ich bei einer anderen Flugschule die folgenden Informationen zur PPL-Ausbildung :
„Für eine sichere Ausbildung benötigen Sie zwischen 15 und 20 Flugstunden – zusammen mit Ihrem Fluglehrer. Wenn Sie Ihren ersten Soloflug bereits nach 3 bis 5 Flugstunden absolvieren, dann dürfen Sie sicherlich stolz sein – aber: Erfahrung haben Sie noch kaum und viele Notverfahren sind Ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt!!!”
Möglicherweise war der Zeitpunkt für meinen Alleinflug etwas verfrüht, denn ich hatte nur 6 ½ Flugstunden absolviert. Abgesehen davon hätte ich den Soloflug auch problemlos verschieben können, aber dieser Gedanke kam mir nicht. Vielleicht wäre ich dann etwas sicherer gewesen. Vielleicht.
Eine Beschäftigung als Beauftragter für Luftaufsicht kam jetzt natürlich auch nicht mehr in Betracht, und mir blieb nichts anderes übrig, als mit dem Studium weiterzumachen und darauf zu hoffen, dass ich die „Anfangsschwierigkeiten“ doch noch überwinden würde. Das war dann im Laufe des Wintersemesters auch tatsächlich der Fall.
Im Oktober 1987, war ich wieder auf dem Tower, diesmal allerdings als Besucher. Detlef hatte dienstfrei und somit Zeit, mir die Funktionsweise des neuen Airport Surveillance Radar (Flughafenrundsichtradar) zu erklären. Jetzt war es auch auf dem Tower möglich, sich am Bildschirm einen Überblick über sämtliche Flugbewegungen rund um den Flugplatz zu verschaffen.
Da wenig Flugbetrieb war, wurde gefachsimpelt, und wir sprachen über die „alten“ Zeiten, die sich aber inzwischen zum Positiven hin verändert hatten.
1970 im Dienst
17 Jahre später Nachbesinnung
Links im Bild Wolfgang Kühr, mein ehemaliger Fluglehrer. Er wurde später Autor der mehrbändigen Fachbuchreihe „Der Privatflugzeugführer” einem Standardwerk für Flugschüler. Leider verstarb er schon 1998.
Liebe Sarah, zu dem Bild machtest du ja eine scherzhafte Bemerkung …, aber das war nicht der Fall, wenn es vielleicht auch so aussieht.
Ich hatte einen Kugelschreiber in der Hand.
Ausbildung, Verfahren, Vorschriften und technische Angaben haben sich inzwischen größtenteils geändert und sind deshalb nicht mehr
“up to date”.