Nach den Weihnachtstagen gab ich meine Fliegerausrüstung ab, die Uniform behielt ich noch bis zum Ende meiner Dienstzeit.
Am 2. Januar 68 meldete ich mich bei der Bw-Fachschule in Köln-Marienburg und bezog ein Doppelzimmer in einem ruhig gelegenen Wohngebäude der Bundeswehr. Ab jetzt hieß es, die Schulbank drücken. Für den Lehrgang waren insgesamt 3 Semester vorgesehen. Das Lernen fiel mir anfangs zwar etwas schwer, aber ich gewöhnte mich daran.
Mit der „Verfügung des Dienstpostenwechsels“ vom 29. Januar bekam ich dann noch mal schriftlich, dass meine Bordfunkerzeit endgültig beendet war.
Der Verteidigungsminister bedankte sich für meine Dienste, allerdings nicht persönlich.
In unserem Wohngebäude wurden die Zimmer von Putzfrauen gereinigt. Am Samstag geschah das gründlich, an den anderen Tagen wurden nur die Papierkörbe und die Aschenbecher geleert. Während der Mittagspause legte ich mich meistens aufs Bett und hängte meine Uniformjacke über einen Stuhl, der direkt daneben stand. So war es auch am 8. Oktober.
Im Halbschlaf nahm ich wahr, dass jemand das Zimmer betrat. Ich lag mit dem Gesicht zur Wand, drehte mich aber nicht um, da ich davon ausging, es wäre mein Zimmerkumpel oder eine Putzfrau. Später musste ich dann leider feststellen, dass meine Brieftasche samt Inhalt fehlte, und dazu gehörte auch der Truppenausweis. Ich meldete den Diebstahl zwar umgehend im Geschäftszimmer, aber irgendwelche Nachforschungen wurden nicht angestellt.
Ob es sich bei dieser Person um eine Putzfrau, einen Lehrgangsteilnehmer oder sonst jemand gehandelt hatte, blieb somit ungeklärt. Die Dreistigkeit, unmittelbar neben mir in die Jackentasche zu greifen, fand ich schon sehr schlimm. Aber ich ärgerte mich auch über mein eigenes Verhalten, denn wenn ich mich im entscheidenden Moment umgedreht hätte, wäre der Diebstahl wohl zu vermeiden gewesen.
Der Truppenausweis war das wichtigste Dokument des Soldaten, denn man durfte ein Kasernengelände nur dann betreten, wenn man ihn an der Wache vorzeigen konnte. Da ich den Diebstahl im Geschäftszimmer gemeldet hatte, dachte ich, die Sache sei erledigt. Dem war aber nicht so. Als ich endgültig entlassen wurde und meine letzten Bundeswehrutensilien abgab, musste ich noch eine Verlustmeldung schreiben.
Mit dem Truppenausweis hatte ich zwei Jahre zuvor schon mal Ärger gehabt. Ich war mit meiner Freundin (der Offizierstochter) nach Köln gefahren. Abends kauften wir im Hauptbahnhof den Kölner Stadt-Anzeiger, da ich eine Annonce aufgegeben hatte und nachsehen wollte, ob sie schon erschienen war. In der Nähe der Gepäckaufbewahrung standen an der Wand einige Tische. Wir hatten die Zeitung auf einen dieser Tische gelegt, um sie besser durchblättern zu können. Während wir damit beschäftigt waren, erschienen zwei Bahnhofspolizisten mit Schäferhunden und sprachen uns an.
„Was machen Sie hier?”
„Das sehen Sie doch, wir lesen die Zeitung.”
„Haben Sie einen gültigen Fahrschein?”
„Nein, braucht man den zum Zeitunglesen?”
„Kommen Sie mit auf die Wache!”
Wie zwei Kriminelle wurden wir quer durch den Bahnhof geführt und auf der Wache abgeliefert. In dem Raum befand sich eine Theke, hinter der mehrere Bahnhofspolizisten saßen. Zuerst wurde meine Freundin nach ihrem Namen und ihrem Wohnsitz gefragt. Nachdem der Beamte sich anhand ihres Ausweises von der Richtigkeit der Angaben überzeugt und die Daten mühsam auf ein Formular getippt hatte, wurde sie aufgefordert, die Wache zu verlassen. Nun war ich an der Reihe und nannte meinen Namen und meine Anschrift.
„Haben Sie einen Ausweis?”
„Nein, nur meinen Truppenausweis.”
„Kann ich den mal sehen?”
Jetzt wurde es kritisch. Während meiner Grundausbildung hatte man uns eingebläut, man dürfe den Truppenausweis zwar zeigen, aber auf keinen Fall aus der Hand geben, einzige Ausnahme – bei Kontrollen durch die Feldjäger (Militärpolizei). Ich hielt also dem Beamten den Ausweis so hin, dass er die Eintragungen lesen konnte. Offenbar reichte ihm das aber nicht, denn er wollte ihn mir aus der Hand nehmen. Just in dem Moment zog ich sie zurück.
„Ab in die Zelle!”, schrie er mich an und deutete mit ausgestrecktem Arm auf einen Gang, der wohl zu einem Zellentrakt führte.
Ich setzte mich also in Richtung Gang in Bewegung, sah dann aber an der Wand eine Bank, und da mir der Gedanke an eine Zelle überhaupt nicht gefiel, ließ ich mich dort nieder. Allerdings in der Erwartung nun abgeführt zu werden – was aber nicht geschah. Anscheinend hatte sich der gute Mann wieder beruhigt. Er beachtete mich nicht weiter, aber ich hörte, dass er mit dem Fliegerhorst in Wahn telefonierte. Kurze Zeit später konnte ich die Wache verlassen.
Überlegungen
Du willst also Lehrer werden. Gut und schön, aber dann waren die Jahre bei der Fliegerei im Grunde genommen doch verlorene Zeit, und alles, was du gelernt hast, war für die Katz. Vielleicht wäre es doch sinnvoller, eine berufliche Richtung einzuschlagen, bei der du die Kenntnisse, die du während der Bordfunkerzeit erworben hast, anwenden kannst?
Solche oder ähnliche Gedanken waren mir in den letzten Monaten durch den Kopf gegangen. Hinzu kam noch, dass ich inzwischen auch die Fliegerei vermisste. Bordfunker gab es in der zivilen Luftfahrt nicht mehr, das schied also aus. Ich hatte aber viel über die Flugsicherung gelernt, und wenn ich schon nicht fliegen konnte, blieb ich auf diese Weise wenigstens mit der Fliegerei verbunden. Ein Versuch war es zumindest wert. Lehrer konnte ich ja immer noch werden, wenn es nicht klappen würde.
Ende Januar 1969 bewarb ich mich bei der Bundesanstalt für Flugsicherung in Frankfurt als Fluglotse und bekam auch umgehend eine Antwort. Für den 21. März wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch und einem Eignungstest eingeladen.
Das Ergebnis war positiv. Es fehlte aber noch eine fliegerärztliche Tauglichkeitsuntersuchung, die mir Sorgen bereitete. Deshalb hatte ich mich zwischenzeitlich auch noch bei der Flughafenbetriebsverwaltung der Lufthansa in Frankfurt beworben und eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten.
Bei der Lufthansa war die Anreise recht komfortabel geregelt: Man bekam ein Flugticket. Am 21. April flog ich abends mit einer Boeing 737 (City-Jet) von Köln nach Frankfurt. Endlich wieder fliegen! Ich war der einzige Passagier, und somit hatten auch die Stewardessen Zeit zum Plaudern.
Eine Einstellung war zwar möglich, aber ich erbat mir wegen meiner Bewerbung bei der Flugsicherung noch etwas Bedenkzeit.
Die Untersuchung erfolgte am 5. Mai in Bonn durch einen Fliegerarzt. Auch dieses Ergebnis war positiv. Im Wartezimmer saß noch jemand, der Fluglotse werden wollte, und so lernte ich Detlef H. kennen. Als wir uns verabschiedeten, wussten wir nicht, dass dies der Beginn einer langen Freundschaft war, und wir uns schon bald wieder treffen würden.
Nun galt es aber erstmal, den Lehrgang an der Fachschule erfolgreich zu beenden, denn das war die Voraussetzung, um als Regierungsinspektorenanwärter bei der Flugsicherung eingestellt zu werden. Die Termine für die Abschlussprüfungen standen bereits fest.
Da ich insgesamt ein gutes Gefühl hatte, teilte ich der Lufthansa mit, dass sich meine Bewerbung erledigt hätte.
Am 20. Juni bekam ich im Rahmen einer Abschlussfeier mein Zeugnis. Etwas überrascht war ich, als mir ein Buch überreicht wurde, da ich als Klassenbester abgeschnitten hatte.
Mit meinem Zeugnis hatte ich nun auch die Zulassungsvoraussetzung für die sog. Begabten-Sonderprüfung erfüllt, zu der ich mich bereits im Februar angemeldet hatte.
Die Prüfung fand am 26. Juni im Rahmen eines Kolloquiums mit vier Professoren statt, an dem außer mir noch ein anderer Kandidat teilnahm, der ebenfalls von der Fachschule kam. Die Professoren waren äußerst nett und betonten mehrmals, welch hohe Meinung sie von der Bundeswehr und ins Besondere der Bundeswehrfachschule hatten. Absolventen dieser Schule hätten sie noch nie enttäuscht. Bereits nach 20 Minuten war das Gespräch beendet. Kurze Zeit später erhielt ich ein Zeugnis, das mich zum Studium an einer Pädagogischen Hochschule berechtigte.