Zu Beginn meiner fliegerischen Laufbahn hatte ich ein Flugbuch bekommen, in das jeder Flug eingetragen werden sollte. Anfangs wurden die Einträge auch kontrolliert und abgestempelt. Bei der Flugbereitschaft war das aber nicht mehr der Fall, und das war wohl der Grund, weshalb ich am 30. September 1966 (leider) damit aufgehört habe.
Die Auswertung anhand dieser Eintragungen sieht folgendermaßen aus:
Über einen Zeitraum von 3 Jahren und 5 Monaten hatte ich an 814 Flügen teilgenommen und war insgesamt 1647 Stunden in der Luft. Auf den Monat umgerechnet bedeutet das rund 20 Flüge oder 40 Flugstunden.
Vom 6. Oktober bis 15. Dezember nahm ich an einem Englisch-Lehrgang an der Sprachenschule der Bundeswehr in Euskirchen teil. Fliegerisch gesehen trat zwar eine längere Pause ein, aber ich war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Da ich noch Urlaub hatte, trat ich meinen Dienst erst am 27. Januar 1967 wieder an.
Unsere Standardroute nach El Paso hatte sich inzwischen etwas geändert. Die Tankstopps waren jetzt in Shannon (Irland) und in Gander (Neufundland-Labrador).
1. – 7. Februar
Eigentlich wollten wir unseren Stehtag in Mc Guire nutzen, um nach New York zu fahren, aber daraus wurde nichts. Bei der Landung blockierten die beiden Hauptfahrwerke, was dazu führte, dass alle vier Reifen durchradierten. Wir konnten nicht mehr rollen, und deshalb musste die Landebahn gesperrt werden. Die Passagiere stiegen in Busse um, das Gepäck wurde ausgeladen, und danach konnte die Maschine abgeschleppt werden.
Den „FOLLOW ME” brauchten wir nicht, da wir nicht mehr rollen konnten und den „Fire Truck“ zum Glück auch nicht.
Weil die Fahrwerke nicht beschädigt waren, mussten nur die Reifen ersetzt werden.
Anschließend erfolgte der obligatorische Sicherheitsflug, an dem aber nur die beiden Piloten und ein Bordmechaniker teilnahmen. Bei der Landung passierte dann dasselbe noch mal. Wieder blockierten die Räder, und die Reifen radierten durch. Am nächsten Morgen konnten wir unseren Flug nach El Paso fortsetzen.
21. – 24. Februar: Wahn, Memmingen, Neapel, Beirut, Neapel, Wahn
Mit der Convair von Memmingen aus über die Alpen nach Neapel und weiter nach Beirut
Da wir nur einen Stehtag in Beirut hatten, machte ich mich mit einem der Piloten schon ziemlich früh auf den Weg nach Byblos – eine ca. 40 km nördlich von Beirut gelegene antike Hafenstadt. Vom Namen dieser Stadt leiten sich „biblos“, „Buch” und „Bibel“ ab. Byblos gehört zu den ältesten Städten der Welt.
Ausgrabungsfunde deuten darauf hin, dass die Gegend schon vor mehr als 7000 Jahren besiedelt wurde. Wahrscheinlich entstand dort auch die „Phönizische Schrift“, die als Grundlage aller späteren Alphabete gilt.
Mit unserem Guide auf der Kreuzritterburg, die aus Steinen und Granitsäulen der römischen Bauwerke errichtet wurde.
In solche Tonkrüge wurden während der Steinzeit (4000 – 3000 v. Chr.) die Toten gelegt und mit Beigaben aus ihrem Besitz beerdigt.
Von Byblos aus fuhren wir zurück nach Beirut und besuchten das Nationalmuseum.
Johannes Gutenberg-Universität Mainz:
„Die Inschrift des 1923 im Zuge französischer Ausgrabungen in Jbeil, dem antiken Byblos, entdeckten Ahirom-Sarkophags ist neu übersetzt worden. Es handelt sich dabei um die älteste vollständig erhaltene phönizische Inschrift von etwa 1000 v. Chr. auf einem Sarkophag der Königsnekropole von Byblos. Die 38 Wörter umfassende, in einem alten nordphönizischen Dialekt geschriebene Inschrift, kann immer noch als das älteste zusammenhängend lesbare Zeugnis der im Prinzip bis heute verwendeten Alphabetschrift gelten.
Im Sommer 2003 hatte sich die Gelegenheit ergeben, die Inschriften des Ahirom-Sarkophags und der Schachtinschrift des Ahirom-Grabes im Nationalmuseum Beirut und in Byblos/Jbeil (Libanon) neu am Original zu untersuchen. Ein erster, kürzerer Abschnitt der Inschriften befindet sich am Rand der Sarkophagwanne und weist den Sarg in seiner letzten Nutzungsphase als die letzte Ruhestätte eines sonst unbekannten Königs Ahirom aus. Der längere, auf dem Deckel angebrachte Abschnitt, enthält einen Fluch gegen jeden, der die Stadt Byblos überfallen oder den Sarkophag öffnen würde.”
Nachdem wir genug für die Bildung getan hatten, gingen wir noch ein Stück die Corniche (Küstenstraße) entlang.
„Grottes aux Pignons“ (Taubenfelsen)
Beirut wurde damals das „Paris des Nahen Ostens“ genannt. Das lag u.a. auch an dem berühmten „Casino du Liban“, in dem die besten Shows der Welt aufgeführt wurden. Diese Attraktion wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Besonders beeindruckt hat mich eine Darbietung, die wohl dem Wagenrennen aus dem Film „Ben Hur“ nachempfunden war.
Auf der Bühne erschien ein römischer Streitwagen, der von vier Schimmeln gezogen wurde. Angefeuert von den Rufen des Wagenlenkers galoppierten die Pferde direkt auf die Zuschauer los, kamen aber nicht von der Stelle, da das Gespann auf Rollen lief, die man durch die effektvolle Beleuchtung und künstlichen Nebel aber nicht sehen konnte.
Die Ähnlichkeit mit dieser Filmszene war unverkennbar.
1989 wurde das Casino wegen des libanesischen Bürgerkriegs geschlossen. Die Wiedereröffnung erfolgte im Dezember 1996 nach einer Investition von 50 Millionen Dollar für den Wiederaufbau und die Modernisierung.
17. – 20. März
Wahn, Neubiberg, Decimomannu (Militärflugplatz auf Sardinien), Rom/Ciampino, Neapel, Elmas, Decimomannu, Neubiberg, Wahn
Dass Angehörige der Flugbereitschaft ab und zu als Passagiere mitflogen war ja nichts Außergewöhnliches, aber dass wir einfach so „jemanden“ mitnahmen, habe ich nur einmal erlebt.
Es gab für uns nichts Langweiligeres, als die Abende in einer Kaserne oder einem Hotelzimmer zu verbringen, und wenn es irgendwie möglich war, machten wir noch einen Bummel oder gingen in ein Restaurant.
Von Neubiberg aus war es nicht weit bis München, und dort suchten wir abends eine gemütliche Weinstube auf. Die Bayern sind ja sehr gesellig, und so fragte uns eine junge Frau, die etwas später mit ihrem Begleiter das Lokal betrat, ob sie sich an unseren Tisch setzen dürften. Dagegen hatten wir natürlich nichts, und so kamen wir auch schon bald ins Gespräch.
Im Laufe unserer Unterhaltung – die junge Frau hatte inzwischen den Spitznamen „Eichhörnchen“ erhalten – erwähnten wir auch, dass wir eine Flugzeugbesatzung der Flugbereitschaft seien und am nächsten Tag über Decimomannu nach Rom fliegen würden. Anfangs war Eichhörnchen etwas misstrauisch, denn wir waren ja in Zivil und hätten ihr viel erzählen können. Sie kannte Rom nur aus Büchern und meinte, die Stadt wäre schon lange ihr Traum, und so fragte ich sie – ihr Begleiter hatte sich inzwischen verabschiedet – ob sie nicht Lust hätte mitzufliegen.
Das war natürlich nur scherzhaft so hingesagt, denn einerseits hätte das nur der Kommandant erlauben können, und andererseits war so etwas strengstens verboten. Aber der Kommandant hatte nichts dagegen, weil er wohl auch davon ausging, das Ganze sei ein Jux.
Wir machten dann noch aus, dass ich Eichhörnchen am nächsten Morgen um 7 Uhr an der Hauptwache vor dem Fliegerhorst Neubiberg abholen würde und verabschiedeten uns. Eigentlich waren wir (die Crew) der Meinung, dass der Scherz damit beendet war.
Trotzdem ging ich am nächsten Morgen zur verabredeten Zeit zur Hauptwache, und wer stand dort? Eichhörnchen mit einem kleinen Reisekoffer.
Zurückschicken konnten wir sie ja schlecht, also wurde sie erstmal vergattert. Unsere Passagiere waren 30 Nato-Offiziere, mit denen Eichhörnchen ab Decimomannu in der Kabine sitzen würde. Da bestand natürlich die Gefahr, dass man sie fragen würde, in welcher Funktion sie denn unterwegs sei. Wir schlugen vor, sie solle sich im Notfall als Sekretärin oder Dolmetscherin bei der Flugbereitschaft ausgeben, am besten aber versuchen, solche Gespräche ganz zu vermeiden.
Des Weiteren dürfe sie auf keinen Fall hinterher mit jemandem aus ihrem Bekanntenkreis über diesen Flug sprechen. Das bereitete ihr schon mehr Schwierigkeiten, denn sie musste zumindest ihren Eltern irgendwie ihre dreitägige Abwesenheit erklären. Sie versprach es.
In Rom kannte ich mich ja schon einigermaßen aus und konnte mich als Reiseführer betätigen. Wir haben dann vom Kolosseum bis zur Via Appia die üblichen Sehenswürdigkeiten aufgesucht.
Auf dem Petersplatz
Eine Audienz beim Papst konnte ich leider nicht vermitteln.
Im April schickte sie mir einen Brief und als Dankeschön zwei Bücher. Sie hatte mitbekommen, dass ich manchmal von den Kollegen „Seemann“ genannt wurde, daher die Anrede.
München, 22. April 1967
Guten Tag, Seemann!
Gerade habe ich mein letztes italienisches Streichholz angezündet, also höchste Zeit, mein Versprechen zu halten. In Garmisch war ich am Anfang reichlich verwirrt, der Kontrast Rom – Garmisch, Frühling – Winter, Freiheit – Eltern, war zu groß, vor allem weil ich über mein Erlebnis nicht normal sprechen konnte. Ich habe zum ersten Mal den Reiz des Verschweigens ausgekostet.
Vor allem fliegen möchte ich noch mal. Ehrlich, hinter meinem Schreibtisch beneide ich Sie ein bisschen. Es wäre nett, wenn Sie mir einmal von einer der vielen Reisen, die ich nicht machen kann, berichten würden, ich würde mich ehrlich darüber freuen.
Jetzt möchte ich mich noch mal ganz herzlich über Ihre charmante Begleitung in Rom bedanken.
Herzlich grüßt Sie und die ganze Flugmannschaft
Eichhörnchen
Ihren Eltern hatte sie wohl nichts erzählt. „Ich habe zum ersten Mal den Reiz des Verschweigens ausgekostet.“
Nun gut, für sie war es ein Abenteuer, für uns – insbesondere für den Kommandanten – ein Risiko, denn wenn die Geschichte aufgeflogen wäre, hätten wir wohl mit einigen Konsequenzen rechnen müssen. Aber Ende gut, alles gut!
Nachtrag:
41 Jahre später habe ich ihre Telefonnummer ausfindig machen können und sie angerufen. So erfuhr ich dann doch noch einige Details, die mir unklar geblieben waren, mich aber sehr interessierten.
1. Ihr Vater war in der Zivilverwaltung der Bundeswehr tätig. Von daher hatte sie häufig Kontakt mit Offizieren, so dass sie gut beurteilen konnte, ob unsere „Geschichte“, die wir ihr in der Weinstube erzählt hatten, glaubwürdig war.
2. Mit den Nato-Offizieren war sie ziemlich schnell ins Gespräch gekommen. Sie hatte sich als Dolmetscherin ausgegeben und mit allen möglichen Tricks gearbeitet – nach dem Motto „viel reden ohne viel zu sagen“. Wenn das Thema zu heikel wurde, hatte sie sogar Übelkeit vorgetäuscht und sich mit einer Airsickness Bag (Spucktüte) zurückgezogen, womit das Gespräch dann auch beendet war.
3. Kurz nach ihrer Rückkehr von unserem Flug war sie mit ihren Eltern in Garmisch und besuchte dort einen Offiziersball. Zuerst lernte sie einen Starfighter-Piloten kennen. Dann geschah etwas völlig Unerwartetes: Sie begegnete einem Offizier aus der Gruppe der Nato-Offiziere, die mit ihr nach Rom geflogen war. Der erkannte sie natürlich sofort, verhielt sich aber zum Glück sehr diskret.
Um Gespräche mit ihm zu vermeiden, tanzte sie dann den ganzen Abend mit dem Starfighter-Piloten.
Zitat: „Ich habe in meinem ganzen Leben nie wieder so häufig getanzt wie an jenem Abend.“