15. April
Ankunft in Patras. Unsere beiden Passagiere, die wir in Rotterdam an Bord genommen hatten, stiegen aus und es ging weiter.
16. April
Unser nächster Hafen war Piräus. Normalerweise wären wir um die Peloponnes Halbinsel gefahren, aber im Ionischen Meer herrschten extrem schlechte Wetterverhältnisse. Deshalb beschloss unser Kapitän, durch den Kanal von Korinth zu fahren, was er eigentlich nur sehr ungern tat, obwohl die Strecke fast 400 Kilometer kürzer war. Abgesehen von den Kanalgebühren gab es noch einen anderen Grund, weshalb er den Kanal lieber vermieden hätte, und den sollten wir auch schon bald kennenlernen.
Der Kanal ist etwa 6 km lang. Die felsigen Seitenwände sind bis zu 75 m hoch. Oben hat er eine Breite von ca. 23 m, nach unten verengt er sich auf 21 m. Die „Gertrud“ war 14 m breit, und somit blieben auf jeder Seite knapp 4 m bis zur Kanalwand, vorausgesetzt es gelang dem Mann am Ruder, einen schnurgeraden Kurs in der Mitte des Kanals zu steuern. Das war aber kaum möglich.
Als wir in den Kanal einfuhren, war es bereits dunkel. Dank unserer Scheinwerfer hatten wir aber zumindest für einige hundert Meter Sicht nach vorn. Ich stand leider (oder zum Glück) diesmal nicht am Ruder und hätte mich in die Koje legen können. Dieses Erlebnis wollte ich mir aber nicht entgehen lassen, und so blieb ich an Deck.
Da wir vorne von einem Schlepper gezogen wurden, lief unsere Maschine nur ganz langsam, und abgesehen von diesem Geräusch war es zunächst ziemlich ruhig. Aber schon nach kurzer Zeit bemerkte ich, wie das Schiff von seinem geraden Kurs abwich, und der Abstand zur Kanalwand immer geringer wurde. Dann prallte das Heck auch schon gegen die Felsen. Schlagartig war es vorbei mit der nächtlichen Ruhe. Das Geräusch des Aufpralls wurde vom Rumpf der „Gertrud“, der wie ein riesiger Resonanzkörper wirkte, verstärkt, und die Kanalwände erzeugten zusätzlich noch ein Echo. Alles in allem ein höllischer Lärm.
Das war aber erst der Anfang. Durch den Stoß und möglicherweise auch durch zu viel Gegenruder trieb das Heck jetzt gegen die andere Felswand. So pendelten wir mehrmals hin und her, bis der Schlepper uns wieder in die Kanalmitte gezogen hatte. Während der Durchfahrt wiederholte sich dieser Vorgang noch ein paarmal, und ich glaube, das war der Grund, weshalb der Kapitän, der wahrscheinlich schon früher diese Erfahrung gemacht hatte, die Kanaldurchquerung lieber vermieden hätte.
Athen
17. April
Morgens liefen wir in Piräus ein. Nachmittags fuhr ich mit Jimmy nach Athen. Jimmy und ich teilten uns während dieser Reise eine Doppelkabine, und da er ein netter Kumpel war, hatte ich mich mit ihm angefreundet. Diesmal gab es keine Probleme, um nach Athen und wieder zurück zum Schiff zu kommen, denn wir hatten einen anderen Liegeplatz. Jimmy war zum ersten Mal in Athen. Ich kannte mich auf der Akropolis ja schon einigermaßen aus, und so hatte er nichts dagegen, dass wir mit unserer Sightseeing-Tour dort anfingen.
Auf dem Weg zur Akropolis
Der Parthenon war noch genauso beeindruckend wie beim ersten Mal.
Blick auf Athen
Pause
Abends gingen wir ins Kino und sahen uns „Die den Tod nicht fürchten“ mit Gary Cooper und Charlton Heston an. Wir verstanden zwar nicht viel, aber dafür kamen wir mit einigen jungen Griechen ins Gespräch, die uns zu einer Party einluden. Zuerst waren wir etwas unentschlossen, denn mit wildfremden Leuten, in einer Stadt, in der wir uns nicht auskannten, auf eine Party zu gehen, das war wohl doch etwas riskant. Aber wir ließen uns überreden, und unsere anfängliche Skepsis stellte sich als unbegründet heraus. Wir wurden wie alte Freunde empfangen und für den nächsten Tag gleich wieder eingeladen.
18. April
Jimmy und ich brauchten nur bis mittags zu arbeiten, und so konnten wir nachmittags nach Athen fahren.
Wir lernten die Verwandtschaft und sämtliche Freunde kennen und gingen abends zum Abschluss noch einmal ins Kino. Diesmal lief „Der Untergang der Bismarck“. Um 24 Uhr waren wir wieder an Bord der „Gertrud“, die aber zum Glück noch nicht untergegangen war. Die restlichen drei Tage in Athen mussten wir dann allerdings arbeiten, so dass wir nicht mehr an Land kamen.
24. April
Um 10 Uhr morgens Ankunft in Tel Aviv, um 20 Uhr wieder ausgelaufen nach Haifa (ca. 100 km nördlich von Tel Aviv)
25. April
Der Lotse war für 24 Uhr angesagt, aber er kam nicht, und wir sollten uns schlafen legen. Kaum waren wir in der Koje, hieß es: „Der Lotse ist da.“, und wir mussten wieder an Deck. Um 1 Uhr lagen wir an der Pier. Bis 6 Uhr konnte ich schlafen. Danach tallierte ich bis 23 Uhr und war hundemüde.
26. April
Von 6 Uhr bis zum Mittagessen tallierte ich wieder und nachmittags half ich beim Umstauen der Ladung. Von Haifa aus ging es ca. 450 km in nördlicher Richtung nach Iskenderun in der Türkei.
Iskenderun
1. Mai
Iskenderun im Südosten der Türkei
Viel los war hier nicht, der Ort machte einen ziemlich verschlafenen Eindruck.
Vom Hafen aus hatte man einen wunderschönen Blick auf die Berge, und da Sonntag war und wir frei hatten, beschlossen Willi und ich, die Gelegenheit für einen kleinen Ausflug zu nutzen. Der Zimmermann fand die Idee auch gut und schloss sich uns an. In der Ferne konnten wir zwischen zwei Bergen einen Einschnitt erkennen, der uns für den Aufstieg geeignet erschien. So peilten wir diesen Einschnitt an und machten uns auf den Weg.
Zunächst ging es zügig voran, aber je höher wir kamen, desto steiler und felsiger wurde es.
Langsam kamen wir ins Schwitzen und legten erstmal eine Pause ein.
Aus dieser Höhe hatten wir schon eine hervorragende Aussicht, aber vielleicht konnten wir es ja bis ganz nach oben schaffen, also weiter.
Als schließlich der Gipfel zum Greifen nahe vor uns lag, waren wir mit unseren seemännischen Fähigkeiten am Ende. Da half auch Willis prüfender Blick nicht weiter.
Willi versuchte es dann noch an einer anderen Stelle, aber als ihm dieser Brocken den Weg versperrte, gab er sich geschlagen.
Damit war unser Aufstieg beendet, und eigentlich hätte jetzt der Abstieg beginnen können. Dazu mussten wir aber erstmal eine geeignete Stelle finden, doch wir fanden keine. Überall ging es so steil nach unten, dass wir uns das einfach nicht zutrauten. Wir hatten schlicht und ergreifend das Gefühl, in der Falle zu sitzen.
Nicht nur der Zimmermann sah so ratlos aus. Aber es half alles nichts, schließlich konnten wir ja nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag da oben sitzen bleiben. „Wo ein Will(i)e ist, da ist auch ein Weg“, heißt es ja so schön, und irgendwie fanden wir auch einen. Abgesehen von ein paar Schürfwunden kamen wir wohlbehalten wieder unten an. So konnte die „Gertrud“ auch pünktlich um 24 Uhr auslaufen.
2. Mai
Während der Fahrt nach Izmir wurden zwei Luken sauber gemacht. Geburtstag hatte ich ja auch noch, aber davon habe ich nichts gemerkt.
4. Mai
Um 7 Uhr war Ankunft in Izmir, um 12 Uhr liefen wir aus.
5. Mai
Gegen 16 Uhr machten wir in Istanbul fest.
6. Mai
Willi und ich besuchten zuerst die „Blaue Moschee“ und die „Hagia Sophia“. Die „Hagia Sophia“ diente bis 1932 als Moschee. Heute ist sie ein Moscheen Museum. Danach gingen wir in den Kapali Çarsi, den größten Basar in Istanbul. Der Basar ist überdacht, und in den vielen Geschäften hat man eine riesige Auswahl an Gold- und Silberschmuck, Antiquitäten und Teppichen, um nur einige Dinge zu nennen. Ich kaufte mir einen kleinen Samowar aus Kupfer und einen „Türkischen Bund“.
Den Ring kann man auseinander nehmen, aber wenn man nicht aufpasst fällt er von selbst auseinander. Um die vier Einzelringe dann wieder zusammenzustecken, braucht man viel Geduld und muss die richtige Reihenfolge beachten. Der Verkäufer hatte mir das zwar gezeigt, aber an Bord hatte ich es schon wieder vergessen. Auf der „Gertrud“ gab es jedoch einige Kameraden, die mir helfen konnten. Abends gingen wir noch über die Galata-Brücke und besuchten den europäischen Teil von Istanbul. Das war schon ein ziemlich krasser Unterschied.
7. Mai
Ich tallierte den ganzen Tag, nachts liefen wir aus.
8. Mai
Wir ankerten vor Izmit (nicht zu verwechseln mit Izmir). Die Stadt liegt am östlichen Rand des Marmarameeres. Unser Arbeitsboot brauchte dringend einen neuen Anstrich. Dazu musste der alte zuerst entfernt werden. Wir strichen die Außenseite und später die Innenseite mit Abbeize ein und entfernten die aufgeweichte Farbe mit einem Abzieher. Vor dem neuen Anstrich wurde das Holz noch geschmirgelt. Wenn ich nicht tallierte oder Wache ging, war dies meine Hauptbeschäftigung.
10. Mai
Gegen 2 Uhr liefen wir aus. Ich hatte Seewache, ansonsten arbeitete ich weiter am Boot.
12. Mai
Von der Türkei aus ging es wieder nach Griechenland. Dort liefen wir noch zwei kleinere Häfen auf dem Peloponnes an, und am 14. Mai begann die Heimreise.
22. Mai
Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, Wochenberichte zu schreiben, die in ein Berichtsbuch eingetragen wurden. Diesen Bericht schrieb ich während der Heimreise.
Mit „turnte an Deck zu“ war nicht etwa gemeint, dass ich an Deck herumturnte, sondern nach meiner regulären Arbeitszeit weiter arbeitete, also Überstunden machte.
24. Mai
Bevor wir gegen 24 Uhr in Rotterdam einliefen, schrieb ich mittags meine Kündigung. Was hatte mich nun zu diesem Schritt veranlasst?
Ich war auf der „Gertrud“ immer bemüht, die mir übertragenen Arbeiten zur Zufriedenheit meiner Vorgesetzten auszuführen und das besonders während der letzten Reise, nicht zuletzt deswegen, weil ich mir ein gutes Dienstzeugnis erhoffte. Der Erste bekam das spitz und fing an, mich damit zu erpressen. Er machte Bemerkungen wie beispielsweise: „Wenn du nicht arbeitest, wann und so oft ich es von dir verlange, dann bekommst du ein schlechtes Zeugnis.“ Obwohl ich manches Mal am Ende meiner Kräfte war, ließ ich mir nichts anmerken und arbeitete weiter. Hätte ich mich geweigert, wäre ja alles umsonst gewesen. Der Erste war zufrieden und ging davon aus, dass ich auch nach dieser Reise auf der „Gertrud“ bleiben würde, aber da hatte er sich getäuscht. Ich wollte einfach nur noch bis zum Ende der Reise durchhalten.
Eines Tages sagte ich ihm dann, dass ich die Absicht hätte zu kündigen, worauf er ziemlich verärgert reagierte. Von da an wurde ich von ihm und dem Kapitän bei jeder passenden Gelegenheit bearbeitet, indem sie versuchten, mich von meinem Entschluss abzubringen. Sie wollten mir sogar meinen Urlaub ausreden und meinten, wenn ich nicht bliebe, würde ich kein Leichtmatrose. Beinahe hätten sie es geschafft, aber dann war mir alles egal. Ich unterschrieb ein Kündigungsformular und legte es dem Ersten auf den Tisch. Nachdem er gemerkt hatte, dass er mich nicht mehr umstimmen konnte, füllte er es aus.
Kündigung auf den „Tag der Ankunft“ bedeutete, das Arbeitsverhältnis endete erst nach folgenden Tätigkeiten: das Schiff festmachen, eine Landverbindung herstellen (Gangway), das Schiff lösch- oder ladeklar machen.
27. Mai
Eigentlich sollten wir heute in Hamburg sein, aber es kam Nebel auf und wir mussten ankern.
29. Mai
Endlich konnten wir heute Morgen in Hamburg festmachen. Ich hatte meinen Seesack schon gepackt und freute mich darauf, das Schiff zu verlassen. Mir fehlte nur noch das Zeugnis, aber als ich es beim Ersten abholen wollte, kam die große Enttäuschung: „Du bleibst, bis das Schiff entladen ist. Danach verholen wir in die Werft, und dann kannst du gehen.“
1. Juni
Gegen Mittag war die Ladung gelöscht, und wir verholten in die Werft. Als ich mit meiner Arbeit fertig war, ging ich zur Kabine des Ersten, um nun endlich mein Zeugnis in Empfang zu nehmen, aber der Erste war nicht mehr an Bord. Er käme gegen Abend wieder, und ich solle bis dahin warten, hieß es. Ich wartete bis Mitternacht, dann ging ich in meine Kabine und legte mich schlafen.
2. Juni
Von Hamburg aus wollte ich morgens mit dem Zug nach Bremen fahren und hatte mir die Abfahrtszeiten von mehreren Zügen aufgeschrieben. Nachdem ich drei Züge verpasst hatte, bekam ich endlich mein Zeugnis und war mittags in Bremen.
Mein Zeugnis war hart erarbeitet, aber es hätte besser nicht sein können. Auch der Eintrag „eignet sich zum Leichtmatrosen“, der ja besonders wichtig war, fehlte nicht.
Eintrag im Seefahrtbuch
In den letzten Tagen hatte ich erfahren, dass ein anderes Schiff der Karl Gross Reederei, die „Regine“, auf dem Weg nach Deutschland war und nach einem Werftaufenthalt von drei Wochen auf Trampfahrt nach Westindien oder Afrika gehen sollte. (Trampfahrt bedeutet, welcher Hafen angelaufen wird, entscheidet sich unterwegs.) Ich musste ja wegen meiner Heuerabrechnung sowieso zur Reederei, und da konnte ich auf einem Weg ja mal nachfragen, ob die Möglichkeit bestand, auf der „Regine“ anzumustern.
Als ich meine restliche Heuer abgeholt hatte, ging ich zum Personalchef und trug ihm meinen Wunsch vor. „Tja“, sagte er, „wenn du auf die Regine willst, dann musst du um 15 Uhr an Bord sein. Sie läuft um 23 Uhr nach Hamburg aus. Du hilfst dann beim Festmachen, und anschließend kannst du in Urlaub fahren. Die Leute von der Regine haben fast alle abgemustert, und wir haben noch keinen Ersatz.“
Aus zwei Gründen wurde ich jetzt stutzig, erstens, wenn so viele Leute abgemustert hatten, war möglicherweise etwas faul, und zweitens, bei den wenigen Leuten, die sich noch an Bord befanden, hätten sie mich so schnell nicht wieder laufen lassen. Die Chance verbauen wollte ich mir aber auch nicht, und deshalb sagte ich, ich brauchte etwas Bedenkzeit und würde mich wieder melden.
Von Karl Gross aus ging ich direkt zum Norddeutschen Lloyd, einer anderen Bremer Reederei, für die ich mich schon seit längerer Zeit interessiert hatte. Vielleicht würde es ja diesmal klappen, und es sah ganz danach aus. Der Personalchef trug mich in eine Liste ein und sagte, sobald nach Pfingsten etwas frei sei, würde ich benachrichtigt. Das hörte sich gut an, zumal Pfingsten schon in drei Tagen war. Ich sagte bei Karl Gross ab, setzte ich mich in den Zug und war nach fast 10 Monaten das erste Mal wieder zu Hause.
Mit zwei oder drei Wochen Wartezeit hatte ich gerechnet, vielleicht auch etwas weniger, aber dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht. Der Bescheid vom Norddeutschen Lloyd kam noch vor Pfingsten. Ich sollte mich am 7. Juni in Hamburg auf der „Innstein“ einfinden. Nach vier Tagen in Detmold saß ich schon wieder im Zug. Urlaub konnte man das ja wohl kaum nennen.