Vom 30. September bis 23. Oktober musste ich an einem Lehrgang an der ABC-Abwehrschule in Sonthofen teilnehmen. Dort sollte man lernen, wie man sich gegen atomare, biologische und chemische Kampfmittel schützen kann. Da ich diesen Lehrgang von Anfang an für überflüssig und sinnlos hielt (zumindest für mich), legte ich mich mehrmals mit den Ausbildern an.
Zum Schluss des Lehrgangs mussten alle Teilnehmer an einem simulierten Ernstfall teilnehmen, der folgendermaßen aussah: Man bekam eine besonders konstruierte Spritze mit einer Injektionslösung, presste sie im Bereich des Oberschenkels auf den Kampfanzug und betätigte den Auslöseknopf. Die Nadel schoss dann durch den Kampfanzug in das Muskelgewebe. Nachdem die Lösung injiziert war, zog man das Teil wieder heraus und damit hatte man bewiesen, dass man auch im Ernstfall dazu in der Lage war.
Ich hatte nun schon seit je her einen Horror vor Spritzen, und deshalb weigerte ich mich, an der Übung teilzunehmen. Als Begründung führte ich an, dass ich mir im Ernstfall schon eine Injektion verpassen würde, unabhängig davon, ob ich das vorher schon mal geübt hätte. Daraufhin wurde ich mit drei anderen Lehrgangsteilnehmern, die sich ebenfalls weigerten, zum obersten Boss zitiert und in die Mangel genommen. Als seine Überredungsversuche nicht fruchteten, gab er uns Bedenkzeit und meinte, wir hätten am letzten Tag die Gelegenheit, die Injektion nachzuholen, anderenfalls würden wir den Lehrgang nicht bestehen.
Krönender Abschluss war nun der letzte Tag. Der komplette Lehrgang war in einem Hörsaal versammelt, und der Boss hielt eine Rede. Zum Schluss wurden wir vier Verweigerer namentlich aufgerufen und gefragt, wie wir uns entschieden hätten. Meine drei Mitstreiter hatten es sich anders überlegt, nur ich war bei meiner Meinung geblieben. Dem Boss trieb das die Zornesröte ins Gesicht, und er verkündete, damit sei ich der Einzige, der den Lehrgang nicht bestanden hätte. Natürlich war mir die ganze Situation äußerst peinlich.
Das Zeugnis sah dann doch nicht ganz so schlimm aus. Ich erhielt die Gesamtnote „befriedigend“ und einen Vermerk, dass ich an einer Übung nicht teilgenommen hätte. So war ich nach diesem unerfreulichen Intermezzo froh, wieder in Wahn zu sein und meiner Funker-Tätigkeit nachgehen zu können.
Es folgten einige Flüge mit der DC3, und dann ging es im November wieder in die USA. Von Mc Guire flogen wir jetzt häufiger ohne Zwischenlandung direkt nach El Paso (Flugzeit 8 Std. 30 Min.).
Aufgrund der langen Flugzeiten waren die Besatzungen (ausgenommen Funker und Steward) immer doppelt besetzt. Piloten, Navigatoren und Bordmechaniker konnten sich abwechseln und zwischendurch in den Kojen ein Schläfchen halten.
Bei meinem nächsten Flug mit der DC6, der Ende Dezember stattfand, handelte es sich um einen VIP-Flug. Der Flugauftrag lautete:
Lufttransport des Bundesministers der Verteidigung und Begleitung nach Conakry und zurück.
Verteidigungsminister war Kai-Uwe von Hassel.
Der Start erfolgte am 27. Dezember um 15:30 Uhr. Um 21 Uhr landeten wir zum Auftanken in Gibraltar. Nach einem 3-stündigen Aufenthalt ging es weiter nach Conakry, wo wir am nächsten Morgen um 9:15 Uhr landeten.
Als Erstes wurden die beiden Nationalhymnen gespielt. Die guinesische klang ja noch ganz akzeptabel, aber die deutsche glich mehr einer Jamsession. Jeder Musiker der Militärkapelle schien die Hymne auf seine eigene Art zu interpretieren, aber sie schafften es dann doch, einen gemeinsamen Abschluss zu finden.
Auf jeden Fall klang das alles so schräg, dass wir Mühe hatten, uns das Lachen zu verkneifen. Danach erfolgte das übliche Begrüßungszeremoniell mit Shake-hands und dem Abschreiten der Ehrenformation.
Vom Catering Service der Lufthansa hatten wir mehrere Container mit Bordverpflegung bekommen, die bis zum Rückflug unbedingt gekühlt werden mussten. Der einzig mögliche Ort war ein Schlachthof. Der Steward bat mich, ihm beim Transport zu helfen.
Als wir den Schlachthof betraten, herrschte dort ein solch bestialischer Gestank, dass mir der Atem stockte. Übermüdung durch den langen Nachtflug, die Klimaumstellung – tags zuvor in Deutschland noch Temperaturen um den Gefrierpunkt und hier eine schwüle Hitze um die 30° – und dann noch dieser ekelhafte Gestank, das war einfach zu viel.
Ich wusste nicht, ob mein Mageninhalt zuerst oben oder unten rauskommen würde. So kniff ich alle dafür in Frage kommenden Muskeln zusammen, und nachdem wir die Container in einen Kühlraum gebracht hatten, nichts wie raus. An der „frischen“ Luft ging es mir dann so langsam wieder besser.
Am nächsten Morgen flogen wir zum Tanken nach Dakar. Gegen Abend waren wir wieder zurück. Nun hatten wir vier Stehtage und konnten uns Land und Leute ansehen.
Erst lebte der Geier noch, dann war er tot.
Mit einem Boot fuhren wir zu einer Insel, hier der stolze Bootsführer.
Wir besichtigten Obstplantagen
und besuchten eine Schlangenfarm. Dort wurden Schlangen „gemolken“, um aus ihrem Gift Arzneimittel und Gegengift herzustellen. Wir wurden auch aufgefordert, ein Exemplar in die Hand zu nehmen.
Die Affen wurden wohl zu Versuchszwecken gehalten.
Wer wollte, konnte auch dem Minister bei einer Kranzniederlegung zuschauen. Bevor es losging, versammelte sich erstmal die Begleittruppe.
Das nahm einige Zeit in Anspruch, und damit es nicht zu langweilig wurde, gab es zur Unterhaltung etwas Folklore.
Für die Soldaten, die vor dem Ehrenmal warteten, war es nicht ganz so unterhaltsam.
Zuschauer hatten sich inzwischen auch eingefunden.
Nun ging es endlich los. Der Minister begrüßte strammen Schrittes die Ehrengarde
und begab sich dann zum eigentlichen Ort der Handlung.
Nach einer Schweigeminute war die Zeremonie beendet.
Am Tag vor der Abreise gab es einen Empfang beim Botschafter, zu dem auch die Flugzeugbesatzung eingeladen wurde.
Smalltalk beim Botschafter
Der Start für den Heimflug erfolgte am nächsten Morgen um 9:15 Uhr. Nach offiziellen Empfängen und Staatsbesuchen kam es häufig vor, dass der Gast sich während des Fluges mittels eines Telegramms noch mal bei seinem Gastgeber bedankte. Nachdem wir eine Weile in der Luft waren, erhielt ich den Auftrag, ein solches Telegramm an den Tower in Conakry zu übermitteln.
Die Funkverbindung war aber schon sehr schlecht, und je weiter wir uns vom Tower entfernten, desto schlechter wurde sie, so dass ich den Text mehrmals wiederholen musste.
Da ich eine Empfangsbestätigung brauchte, sollte mir der Controller mitteilen, ob er das Telegramm vollständig erhalten hatte und ich sagte:
„Please tell me if you have received my message.“
Offenbar verstand er das aber nicht und ich versuchte es erneut:
„I want to know whether you have received my message.“
Auch das brachte nicht den erhofften Erfolg. Stattdessen fing er an, das aktuelle Wetter von Conakry abzuspulen. Ich unterbrach ihn und wiederholte meine Frage:
„I want to know whether you have received my message.“
Das Spielchen wiederholte sich noch einige Male, bis die Verbindung endgültig abbrach.
Erst später wurde mir dann klar, was möglicherweise der Grund für unsere Kommunikationsschwierigkeiten war. Der Controller hatte wohl nur Bruchstücke meiner Frage verstanden und da „whether“ und „weather“ gleich klingen, hatte er gemeinte, ich wollte das Wetter haben. Das Problem wäre wahrscheinlich nicht entstanden, wenn ich wie beim ersten Mal „if“ gesagt hätte.
Weiterbildung kann ja nicht schaden.
Ein Korvettenkapitän aus der Begleitung des Ministers hatte sich in Conakry eine recht üble Darminfektion zugezogen. Obwohl er von einem Arzt betreut wurde, der ebenfalls der Begleitung angehörte, verschlechterte sich sein Zustand während des Fluges dramatisch. Deshalb bekam ich den Auftrag, Kontakt mit Wahn aufzunehmen, damit der Erkrankte unmittelbar nach der Landung in ein Krankenhaus gebracht werden konnte.
Auszug aus meinem Funkverkehr ab 19:00 Uhr, einige Erklärungen in Klammern
19:00 Uhr (an Bodenfunkstelle)
QTC (Telegramm für) 284, Tel. 36846
=LANDUNG 0200 Z 23 PASSAGIERE ERBITTEN FAHRZEUGE
EINSCHLIESSLICH SANKA (Sanitätskraftwagen) VERTRETER VON 284
ERKRANKT EHEFRAU NICHT VERSTAENDIGEN=
21:00 Uhr (an Bodenfunkstelle)
QTC=ANRUF JOHANNITER KRANKENHAUS BONN EINLIEFERUNG
INNERE ABTEILUNG 1/2 STD NACH LANDUNG WAHN=
(von Bodenfunkstelle) =INT (Frage) OB ARZT
AM FLUGHAFEN ERFORDERLICH=
(an Bodenfunkstelle) =ARZT AN BORD NICHT NOTWENDIG= QAL (voraussichtliche Landung) EDDK 0115
21:30 Uhr (an Bodenfunkstelle)
DEP GMMX (Abflug Marrakesch nach Zwischenlandung) 1805 FL 160
(Flughöhe 160) ESTIMATE EDDK 0115 REQ LANDIG FORECAST
AND ACTUAL INCLUDING TEMP AND RNWCOND (runway conditions)
(von Bodenfunkstelle)
ACT OF 2120 290/09 KTS 4 KM 8/8 1400 FT TEMP + 2 NO SIG (keine
signifikanten Änderungen)
FORECAST 2200 – 0700 280/10 3 KM 8/8 1700 FT TEMP (zeitweilig) 000-
0700 2 KM 4/8 700 FT 8/8 1200 FT RNWCOND RNW AND TAXIWAY +
APRON (Abstellfläche) COND NORMAL
00:30 Uhr
(an Bodenfunkstelle) QAL EDDK 0045
(von Bodenfunkstelle) LANDUNG 10 MIN VERZOEGERN
(an Bodenfunkstelle) VERSUCHEN LANGSAM ZU ROLLEN
(von Bodenfunkstelle) SOFORT LANDEN
Bei der Landung stand ein Krankenwagen bereit, so dass der Korvettenkapitän ohne Verzögerung ins Bonner Krankenhaus gebracht werden konnte.