Die „Frauenfels“ gehörte zwar nicht zu den größten Schiffen der Hansa-Reederei, aber mit ihren 16.351 BRT, einem 50-Tonnen Schwergutbaum und zwei 15-Tonnen Bäumen war sie auch nicht gerade klein.
Außerdem handelte es sich um ein Ausbildungsschiff, auf dem 12 Decksjungen (Bezeichnung für einen Azubi im ersten Lehrjahr) ausgebildet wurden. Die Kadetten wohnten im hinteren Teil des Schiffes und hatten dort auch ihre eigene Messe.
„M/S Frauenfels“
November 1982 Ankunft Gadani Beach, Pakistan zum Abwracken
Jetzt wird es ernst
Zunächst waren noch einige Formalitäten zu erledigen. Beim Seemannsamt erhielt ich mein Seefahrtbuch. Dann musste ich zur Untersuchung, bekam zwei Spritzen – danach konnte ich einen Arm nicht mehr bewegen – und vorsichtshalber ließ ich beim Zahnarzt noch meine Zähne durchchecken.
Am 3. August nahm ich dann endgültig Abschied vom „Schulschiff Deutschland“ und begab mich mit geschultertem Seesack zum Hafen, zur „Frauenfels“.
Ich kletterte die Gangway hoch, kam mir aber in dem Durcheinander an Deck erstmal ziemlich verloren vor. Die Übernahme von Ladung und Proviant und die Vorbereitungen für die bevorstehende Reise liefen auf Hochtouren. Irgendwie landete ich dann auf dem Achterdeck, wo mir meine Kabine zugewiesen wurde. Die Sachen waren schnell eingeräumt, und da ich mich ja nicht als Passagier an Bord befand, ging ich wieder an Deck und half, so gut ich konnte.
Wir sollten noch in derselben Nacht nach Hamburg auslaufen, und bis dahin musste das Schiff seeklar sein. Gegen 23 Uhr konnte ich mich zwar in die Koje legen (keine Hängematten mehr), aber nach zwei Stunden musste ich zum Ablegemanöver wieder an Deck erscheinen. Da ging es dann so richtig zur Sache.
Von den Kommandos und Signalen, die zwischen Brücke, Vorschiff, Achterschiff, Pier und zwei Schleppern ausgetauscht wurden, verstand ich so gut wie nichts. Ich hatte auch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Meine Aufgabe bestand darin, die an Bord gehievten schweren Festmachertrossen aufzuschießen. Dabei handelte es sich einerseits um armdicke Manilas (Hanftaue) und andererseits um ca. 3 cm dicke Stahldrähte. Diese Trossen haben ein Eigenleben. Wenn man sie richtig behandelt, sind sie friedlich und bleiben da liegen, wo man sie hinlegt, aber wehe, man behandelt sie falsch. Dann werden sie störrisch, richten sich wieder auf, verdrehen sich und können einen zur Raserei bringen.
Man schießt die Trossen richtig auf, indem man sie in Buchten (kreisförmig) aufeinander legt. Neue Trossen sind leichter zu handhaben als ältere, weil letztere stellenweise ihren ursprünglichen Drall (Drehrichtung) verloren haben und sich dann in die Richtung legen wollen, die eigentlich die falsche ist. Nach einiger Übung kennt man jedoch Tricks, um auch damit fertig zu werden.
Da liegt so eine (relativ) ordentlich aufgeschossene Manila.
Stahltrossen haben im Gegensatz zu Manilas noch eine weitere unangenehme Eigenschaft. Sie werden aus vielen dünnen Drähten hergestellt, von denen einzelne im Laufe der Zeit brechen. Die Enden stehen dann ein Stück hervor, und da die Arbeit beim An- und Ablegen ziemlich rasch vonstattengeht, übersieht man diese sogenannten Fleischerhaken häufig. Wenn einem die Trosse dann durch die Hand gleitet, spürt man sie dafür umso deutlicher. Trotz der Arbeitshandschuhe, die man dabei tunlichst tragen sollte, reißen einem die Fleischerhaken dann schmerzhafte Wunden in die Hände.
Schon nach kurzer Zeit war ich durch die ungewohnte Arbeit schweißgebadet. Als ich zwischendurch mal einen Blick an Land warf, hatte ich den Eindruck, dass die Lagerhallen und Kräne langsam in Bewegung kamen und achteraus an uns vorbeiglitten. Aber das war natürlich eine optische Täuschung, nicht die Hafenanlagen, sondern wir bewegten uns.
Die „Frauenfels“ lag meistens auf der linken Seite, etwa da,
wo das zweite Schiff liegt.
Zum Vergleich ein kleiner Abstecher in die „Neuzeit“
So leer und trostlos sah das 1998 aus.
2001 – Blick vom Hafenamt auf das ehemalige Hafenbecken
2006 – Nochmal ein Blick vom Hafenamt auf das ehemalige Hafenbecken
Verlassen wir die „Neuzeit“ wieder und kehren zurück in das Jahr 1958.
Langsam und gemächlich kam immer mehr Fahrt in das Schiff. Zuerst zogen uns noch die Schlepper, aber schon bald waren wir in der Weser und liefen mit eigener Kraft Richtung Nordsee. Obwohl ich müde und erschöpft in die Koje fiel, konnte ich nicht gleich einschlafen. Da war etwas völlig Neues, ein leichtes Vibrieren und ein gleichmäßig stampfendes Geräusch, verursacht von den großen Dieselmaschinen, die mittschiffs, tief unten im Bauch des Schiffes unermüdlich ihren Dienst taten.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich aber an dieses Geräusch und registrierte es erst wieder, wenn es sich veränderte, beispielsweise dann, wenn die Maschinen schneller oder langsamer liefen. Als ich später im Urlaub zu Hause war, konnte ich zuerst nicht einschlafen, weil ich die Stille als störend empfand.
Gegen 7 Uhr wurde ich wieder geweckt. Wir waren bereits in der Nordsee, drehten dann schon bald in die Elbmündung ein und machten am Nachmittag im Hamburger Hafen fest. Ende der ersten See-Fahrt.
Auf der Elbe
Die „Frauenfels“ war ein Stückgutfrachter. Alles, was man in Kisten, Tonnen und Säcken verpacken konnte, wurde in den fünf großen Ladeluken verstaut. Außerdem kam es nicht selten vor, dass sperrige Güter, die nicht in die Luken passten, an Deck gelagert wurden.
Nun bekamen wir die gesamte Ladung aber nicht nur in Bremen, sondern in verschiedenen Häfen. Eine „typische“ Reise verlief etwa folgendermaßen: Ausgangspunkt war Bremen, dann kam Hamburg, weiter ging es nach Antwerpen und Rotterdam. Damit war sozusagen die Ladephase beendet. Von Rotterdam aus begann dann der lange Teil der Reise, und das Schiff wurde endgültig seeklar gemacht, d.h. die Ladebäume wurden waagerecht gelegt und gesichert, die Ladeluken vollständig abgedichtet, und an Deck wurde alles festgezurrt.
Der nächste Hafen war dann Valencia, Marseille oder Genua, oder es ging durch bis Port Said. Das Ziel der Reise lag entweder im Persischen Golf oder in Indien. Auf der Rückreise war der erste Hafen in „heimatlichen“ Gefilden meistens wieder Rotterdam. Von dort aus ging es dann auch wieder nach Antwerpen, nach Hamburg und schließlich nach Bremen. Allerdings wurde jetzt in jedem Hafen ein Teil der Ladung, die wir mitgebracht hatten, gelöscht (ausgeladen).
Während der „Rundreise“ zwischen dem Anlaufen von Rotterdam nach einer Reise und dem Auslaufen aus Rotterdam zu Beginn der nächsten Reise nahm meistens ein Teil der Besatzung Urlaub. An Bord blieben nur diejenigen, die für die anfallenden Arbeiten unbedingt notwendig waren und einige Kameraden, die so gut wie keine Beziehung mehr zum Landleben hatten. Die hockten sich dann zusammen und ließen sich derartig volllaufen, dass sie manchmal nicht mehr in der Lage waren, ihre Kojen aufzusuchen und umkippten, wo sie gerade saßen oder standen.
Wenn sie ihren Rausch ausgeschlafen hatten, tranken sie weiter. So ging das rund um die Uhr, tagelang. Bis zum erneuten Auslaufen aus Rotterdam waren sie so gut wie nie nüchtern, und es gab oft Krach mit den Offizieren, wenn sie betrunken auf Wache erschienen und wieder zurückgeschickt werden mussten.
Das Beladen in Hamburg dauerte drei Tage. Dann ging es weiter nach Antwerpen, wo wir ebenfalls drei Tage lagen. Nach zwei weiteren Tagen in Rotterdam wurde seeklar gemacht, und wir liefen am 16. August aus, nächster Hafen Port Said.
Zum Schluss wird noch das Deck abgespritzt.
Seekrank
In den letzten Tagen hatten wir verdammt schwer gearbeitet. Nun, da die Hektik vorbei war, wurde erstmal ausgiebig gefeiert. Bis auf diejenigen, die Dienst hatten, waren fast alle betrunken. Auch ich war zu guter Letzt sternhagelvoll und fühlte mich am nächsten Morgen entsprechend elend. Das war aber nur der Vorgeschmack auf das, was mich in den nächsten Tagen in der Biskaya erwarten sollte, nämlich die Seekrankheit.
Der Verlauf dieser „Krankheit“ ist von Mensch zu Mensch verschieden. Manche werden überhaupt nicht seekrank, andere werden es immer wieder, aber die meisten sind, wenn sie es überstanden haben, weitgehendst immun dagegen. Da es damals noch keine Tabletten gegen die Seekrankheit gab, zumindest hatte ich noch nie etwas davon gehört, blieb mir nichts anderes übrig, als die Sache auf mich zukommen zu lassen und festzustellen, zu welcher Sorte ich denn gehören würde.
Wie die meisten Krankheiten, so fing auch diese relativ harmlos an. Dann wurde der Seegang stärker und damit die Bewegungen des Schiffes. Boden, Wände, die Decke, der Horizont, alles, was vorher seinen festen Platz hatte, änderte mit konstanter Gleichmäßigkeit seine Richtung und Lage. Vergeblich suchten die Augen nach einem festen Punkt, alles schien irgendwie in Bewegung zu sein.
Die Schräglage allein ist nicht das Problem. Der Wechsel der Neigung von links nach rechts, von auf und ab und alles womöglich noch gleichzeitig, das bringt’s. Ich stand am Heck an der Reling und stierte auf die Wellenberge, die mir entgegen kamen und dann in die Wellentäler, ein stetiger Wechsel, je nachdem, ob das Heck emporgehoben wurde oder nach unten wegsackte.
So vergingen die Stunden. Zwischendurch kam mal einer von den „Seefesten“, um nach uns zu schauen, denn es war schon vorgekommen, dass Seeleute in so einem Zustand über Bord gefallen waren. Auch gute Ratschläge gaben sie uns, wie z.B. „Ihr müsst wenigstens ein Stück Weißbrot essen, damit ihr was im Magen habt.“ oder „Wenn so ein schwarzer Ring kommt, dann müsst ihr ihn wieder runterschlucken, denn ihr braucht ihn noch. Das ist das Arschloch.“
Die drastische Ausdrucksweise bitte ich zu entschuldigen, aber die Seefahrt war nun mal kein Mädchenpensionat. Die mochten erzählen, was sie wollten, ich nahm sowieso kaum noch etwas wahr.
Die Stunden vergingen, und es wurde dunkel. Mir wurde kalt, und ich begann am ganzen Körper zu schlottern. Die Nacht wollte ich auf keinen Fall draußen verbringen. Also raffte ich meine letzten Kräfte zusammen, schleppte mich in meine Kabine und ließ mich in die Koje fallen. Eine Weile schlief ich wohl auch, aber dieser elende Würgedrang trieb mich wieder an Deck. Die Nacht war endlos. Irgendwann kam dann fast nichts mehr, so sehr ich auch würgte. Das war schlimm, aber es wurde noch schlimmer, als die Galle hochkam. Sie brannte wie Salzsäure. Gegen Morgen war auch damit Schluss. Es kam einfach nichts mehr. Nur das Würgen wollte nicht aufhören. „Lieber Gott“, so dachte ich, „wenn das so weiter geht, dann lass mich lieber sterben.“ Mir wäre es in der Tat völlig egal gewesen, wenn ich jetzt über Bord gekippt wäre.
Unbeeindruckt von alledem hatte die gute „Frauenfels“ in der Zwischenzeit jedoch etliche Meilen zurückgelegt. Im Laufe des Vormittags waren wir aus der Biskaya raus, und der Seegang nahm ab. Das war die Wende. Mein miserabler Zustand besserte sich allmählich, irgendwann hatte ich wieder das Verlangen nach etwas Essbarem, und so nach und nach kam ich auch wieder zu Kräften. Geheilt! Zunächst jedenfalls. Eigentlich hatte es sich bei dem Seegang in der Biskaya nur um eine relativ harmlose Dünung (Wellen, die durch einen Sturm in einer anderen Gegend entstehen) gehandelt, und es sollte in der nächsten Zeit noch wesentlich schlimmer kommen. Aus diesem Grund dauerte es auch noch etliche Monate, bis das Kapitel Seekrankheit für mich abgeschlossen war. Der Seegang, den ich gerade überstanden hatte, machte mir beim nächsten Mal nichts mehr aus. Wenn er jedoch stärker wurde, dann begann das Elend wieder von neuem.
So arbeitete ich mich von Sturm zu Sturm die Windskala bis Windstärke 10 und 11 hoch. Danach war Rasmus – so nennt der Seemann das Meer – zufrieden und forderte keine weiteren Opfer mehr. Windstärke 12 (Orkan) blieb mir zum Glück erspart.